Letzte Änderung: 20. April 2024

Hinweise für kommunale Abfallwirtschaftsbetriebe zum sicheren Einsatz von Abfallsammelfahrzeugen

Warum die Aussage „Müllwagen dürfen nicht mehr rückwärtsfahren!“ falsch ist

Oft hört man: „Seitdem die Branchenregel Abfallsammlung veröffentlicht wurde, dürfen Abfallsammelfahrzeuge nicht mehr rückwärtsfahren“. Diese Aussage ist aber falsch, denn Müllfahrzeuge durften auch schon vor Erscheinen der Branchenregel nur in absoluten Ausnahmesituationen rückwärtsfahren. Warum ist das Thema jetzt erst so sehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt? Und warum sind Rückwärtsfahrten eigentlich so gefährlich für Müllwerker*innen und unbeteiligte Dritte?

Achtung Toter Winkel! Die Kolleg*innen immer Blick behalten!  Bild: © UKH

Konkrete betriebliche Vorgaben im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung

Auch wenn das „früher“ vielleicht anders ausgesehen hat – Abfallsammelfahrzeuge durften noch nie ohne triftigen Grund rückwärtsfahren. Die Sammeltour war immer schon so zu planen, dass Bereitstellungsplätze vorwärts angefahren werden können. Rückwärtsfahrten waren die absolute Ausnahme und eigentlich nur für alte und enge Straßen gedacht, die vor 1979 gebaut wurden (Inkrafttreten der Unfallverhütungsvorschrift „Müllbeseitigung“), sowie für besondere Situationen, z. B. wenn der Müllwagen überraschend zugeparkt worden war.  

Ein Fahrer, der rückwärtsfuhr, beging „früher“ normalerweise eine Ordnungswidrigkeit. Es ist unstrittig, dass dies in der Praxis anders gehandhabt wurde. Aber die Tatsache an sich macht das Verhalten deshalb nicht richtig. Tatsache ist nämlich auch, dass es fast wöchentlich zu schweren Unfällen durch Rückwärtsfahrten kam und gelegentlich immer noch kommt. Nicht nur die Müllwerker*innen selbst werden dabei häufig schwer verletzt, sondern auch unbeteiligte Dritte, die dem Fahrzeug nicht ausweichen können.

Das Thema ist mit Veröffentlichung der Branchenregel in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, weil Abfallwirtschaftsbetriebe seitdem im Rahmen ihrer Gefährdungsbeurteilung nun aktiv ermitteln und festlegen müssen und auch festlegen dürfen, ob, wo und wie rückwärtsgefahren werden muss. Die Rückwärtsfahrt ist bei der Tourenplanung die letzte aller denkbaren Maßnahmen.  Aber, wenn es nicht anders geht, dann ist Rückwärtsfahren möglich. Gefüllte Behälter sind schwer, das Fahrzeug sollte also möglichst nah an sie heranfahren. Alle übrigen Optionen, z. B.

  • bauliche Maßnahmen,
  • Ordnungsmaßnahmen,
  • ein Behältertransport zu Bereitstellungsplätzen
  • oder auch der Einsatz von speziellen Fahrzeugen

müssen aber zuvor geprüft und ggfs. verworfen worden sein.

Der Entsorgungsbetrieb trifft nun in eigener Verantwortung die Entscheidung, wo geplant rückwärtsgefahren werden muss.

Der Fahrer wird von dieser Verantwortung entlastet und hat bei einer unvermeidlichen Rückwärtsfahrt im Zuständigkeitsbereich der Unfallkasse Hessen auch kein Bußgeld zu erwarten.

Wenn es gar nicht anders geht, dürfen Abfallsammelfahrzeuge auch rückwärts fahren – aber nur dann, wenn die Fahrt wirklich sicher durchgeführt werden kann.  Bild: © Thomas Frey, DGUV

Warum Müllfahrzeuge gefährlicher sind als andere LKW

LKW sind in der Regel vorwärts von A nach B unterwegs. Sie fahren rückwärts meist nur in relativ geschützten Bereichen, z. B. auf Parkplätzen oder auf Werksgelände, und das auch nur wenige Mal pro Schicht. LKW, die im Bereich von Wohnbebauung und in Straßen mit Passanten unterwegs sind und dort rückwärtsfahren müssen, sind die große Ausnahme. Aber auch für diese LKW gilt: Ist eine Gefährdung beim Rückwärtsfahren nicht auszuschließen, so müssen sich die Fahrer*innen einweisen lassen. Tun sie das nicht, weil sie z. B. allein unterwegs sind, dann gehen sie ein sehr hohes persönliches (Haftungs-)Risiko ein. Und auch die Unternehmer*innen müssen sich rechtfertigen, falls die Rückwärtsfahrt absehbar war. Auch hier gilt: Die Tatsache, dass in der Praxis gegen die Vorschriften gehandelt wird, macht das Verhalten nicht korrekt!

Abfallsammelfahrzeuge, die bis zu zwölf Meter lang und bis 26 Tonnen schwer sind, fahren auf ihren Touren nahezu ausnahmslos in Straßen mit zum Teil sehr dichtem Verkehr und mit vielen Passanten. Häufiges Rückwärtsfahren beinhaltet für die Fahrer*innen eine sehr hohe persönliche Verantwortung und ist auch sehr anstrengend. Fahren mit großen Fahrzeugen in engen Straßen erfordert auch ohne Rückwärtsfahrten schon viel Aufmerksamkeit. „Und Rücksichtnahme ist des Bürgers Ding häufig nicht“, insbesondere dann nicht, wenn er oder sie eilig mit dem Auto unterwegs ist …

Bundesweit gibt es jedes Jahr zahlreiche Unfälle mit Abfallsammelfahrzeugen; meist enden sie für die Unfallopfer tödlich.

Gefahren beim Rückwärtsfahren sind real!

Bundesweit gibt es jedes Jahr zahlreiche Unfälle explizit mit Abfallsammelfahrzeugen; meist enden sie für die Unfallopfer tödlich und für den Fahrer oder die Fahrerin sind sie immer traumatisierend, egal ob er bzw. sie Schuld hat oder nicht. Viele dieser Unfälle ereignen sich mit unbeteiligten Dritten. Das sind häufig Personen (oft ältere Menschen und Kinder!), die trotz Warnsignal und sich bewegendem Fahrzeug hinter dem Fahrzeug herlaufen und die Situation falsch einschätzen.

Planung und Kommunikation – so verhindern Kommunen Unfälle und Ärger

Die Kommune muss die Abfallsammlung und alle anderen im Rahmen der Daseinsvorsorge wichtigen Fahrten (z. B. auch Anlieferung, Sperrmüll etc.) bereits bei der Planung von Neubaugebieten und Verkehrswegen berücksichtigen. Und im Bestand muss für jede Straße geprüft werden, ob man sie ganzjährig sicher befahren kann oder nicht.

Es müssen vielleicht unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, um die Abfallbehälter und Mülltonnen auch tatsächlich abholen zu können. Darum ist eine gute Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern wichtig. Denn für viele Anwohner*innen stellen die Maßnahmen der Kommune ggf. eine Verschlechterung dar. Sie haben sich an die bisherige – oft gar nicht zulässige – Situation gewöhnt und müssen nun ihre Tonnen weiter als gewohnt rollen. Die meisten Bürger*innen verstehen aber, dass es um Sicherheit und Menschenleben geht, wenn sie angemessen einbezogen und informiert werden. Wer einfach Fakten schafft, mit denen dann alle leben müssen, stößt meistens auf weniger Verständnis.

So sieht idealerweise eine Straße für ungefährliche Abfallsammlung aus

Eine Straße muss einfach sicher befahren werden können. Das übliche, weil wirtschaftlich meist sinnvollste Sammelfahrzeug, ist rund zwölf Meter lang und voll beladen ca. 26 Tonnen schwer. Diese Ausmaße stellen bestimmte Anforderungen an die Straße, z. B. im Hinblick auf

  • Tragfähigkeit
  • Breite
  • Durchfahrtshöhe
  • Steigung
  • Kurvenradien
  • Gegenverkehr
  • Wendemöglichkeit in Sackgassen
  • Parksituation in Sackgassen.

Wichtige Faustregel

Es sollte immer ein Sicherheitsabstand von 50 cm zwischen dem Müllfahrzeug und dem Hindernis bestehen, damit es nicht zu Unfällen (z. B. Quetschungen) kommt. Daraus ergeben sich für die großen Fahrzeuge (Breite bis 2,55 m) Fahrbahnbreiten von 3,55 m ohne und 4,75 m mit Gegenverkehr.

Es gibt aber auch kleinere, wendige Sammelfahrzeuge, die engere Straßen, z. B. in historischen Altstädten, durchaus sicher befahren können. Über das jeweils sinnvollste Fahrzeug muss im Einzelfall entschieden werden.

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